02.09.2007
In wenigen Minuten wird er böse.
"Was willst du eigentlich von mir?", fragt er.

Ich weiß keine Antwort. Ich fühle mich einfach nur wohl. Vielleicht will ich das von ihm. Wir sitzen in einer Kneipe. Um an das Mandarinenstück auf dem Glasboden zu gelangen, habe ich den ganzen Cognac heruntergekippt.
"Weil wir miteinander schlafen, was erwartest du? Dass ich dich heirate?"

Ich sehe ihn fassungslos an. Er sieht mich wütend an. Vor einer Stunde hatten wir uns noch geküsst und seine Finger spielten mit meinen Haaren.
"Eine viertel Stunde gebe ich dir noch."

Vielleicht liegt es an dem Cognac, denn ich verstehe kein Wort. Wovon spricht er?
"Eine viertel Stunde?", stammele ich.
"Ich gebe dir noch eine viertel Stunde, danach sehen wir uns nie wieder."

Ich sitze vor ihm mit dem Glas in der Hand. Der Rest verschwindet im Nebel.
"Obwohl, du bist noch minderjährig, also gebe ich dir noch ein Jahr, bis du volljährig bist. Nee, nee, ich gebe dir noch 5 Minuten."
"Was ist los mit dir?"
"Was mit mir los ist?!"

Er scheint wirklich wütend zu sein, so aus heiterem Himmel.
"Du musst die Wahrheit über mich wissen", sagt er: "Ich bin ein bisschen verrückt nach den Frauen, ein bisschen Alkoholiker, ein bisschen von allem. Das bin ich. Willst du noch was trinken?! Heute Abend bin ich großzügig. Komm, sag was, sei nicht so stumm! Und übrigens, ich bin gar nicht der, für den du mich hältst, weißt du? Wofür hältst du mich, für irgendeinen Heiligen? Ich stehe auf Sex, ich stehe auf Beißen, ich stehe auf jede Menge Schweinereien. Du bist mehr die Naive, die Unschuldige, ich bin eher etwas primitiver.

Ich kaue auf dem letzten Stück Mandarine.
"Was ist mir dir?", fragt er mit besorgter Stimme. "Geht´s dir nicht gut?!"

Er macht dem Kellner ein Zeichen, bestellt für mich eine Flasche Mineralwasser. In der Zwischenzeit stehe ich auf und gehe in Richtung Toilette. Aber er ist hinter mir. Er packt mich am Arm, fragt mich, als ob ich nicht richtig zugehört hätte: "Geht´s dir nicht gut, geht´s dir nicht gut?!" Dann zieht er mich zu sich und umarmt mich. "Das Problem ist, du verlangst zu viel", flüstert er. Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas von ihm verlangt zu haben. Dann schubst er mich. Eine Halsader ist sichtbar dick geworden, so wütend ist er.
"Wenn ich dir eine knalle, geht`s dir sofort besser!", brüllt er wie ein Wahnsinniger.
In einer der Toiletten hört man die Spülung, eine blonde Frau geht schnell an uns vorbei, ohne uns anzuschauen.

Er umarmt mich wieder und versucht, mich zu beruhigen, indem er mir ins Ohr flüstert:
"Komm, sei jetzt nicht sauer, komm wir gehen zurück an den Tisch und trinken zu Ende."
Wir gehen zurück. Wir setzen uns. Er dreht sich um und winkt jemandem. Ein Mädchen in meinem Alter kommt und begrüßt ihn fröhlich.
"Ich dachte, du hättest mich nicht bemerkt", sagt sie. Sie möchte sich gerade hinsetzen, aber er macht ihr ein Zeichen, sie solle sich auf seine Knie setzen. Sie lacht und gehorcht. Sie sieht mich aus den Augenwinkeln an, um zu sehen, wie ich reagiere. Die Situation ist unklar.
Er bietet ihr an, aus seinem Glas zu trinken, bietet ihr Zigaretten an. Sie trinkt und raucht und lacht dabei.
"Kommst du mit zu mir?", fragt er sie.
"Ja, sicher", sagt sie und steht auf um ihre Tasche zu holen.
"Wo willst du hin?", frage ich ihn.
"Ich will jetzt Sex haben".

Ich bleibe sitzen, noch unter Schock, weiß nicht, wie ich reagieren soll. Mein Cognacglas ist leer. Ich habe Angst, meine Stimme würde zittern, wenn ich mir noch ein Glas bestellen würde. Keine Ahnung, warum es mir ausgerechnet jetzt so wichtig ist, nach außen die Haltung zu bewahren. Wer würde mich jetzt anschauen? Wenn interessiert es?

In diesem Moment stürzt er mit wütender Grimasse wieder zur Tür rein, kommt zu mir und steckt mir etwas in die Bluse. Ich hole es raus. Geld.
"Ich brauche dein Geld nicht", brülle ich und werfe ihm das Geld hinterher. Er bückt sich, sammelt es hastig auf und wirft es auf dem Tisch. Ich fege es mit einer Armbewegung vom Tisch.
"Geht´s dir nicht gut?", flüstert er. "Was ist mit dir, geht´s dir nicht gut? Sag es, dann bringe ich dich nach Hause!"
Ich antworte nicht. Alle Leute aus der Kneipe schauen uns an. Er nähert sich und umarmt mich verzweifelt. Er steht auf und geht in Richtung Tür. Er dreht sich nicht mehr um. Ich sitze dort, der unerwünschten Aufmerksamkeit bewusst, und versuche mich zu sammeln, ich versuche zu denken. Ich versuche.

In diesem Augenblick setzt sich jemand auf den Stuhl, auf dem er vor einigen Minuten gesessen hatte.
"Junge Frau, ich bin auch Schauspieler!"

Er rutscht näher mit dem Stuhl.
"Was ist, weinen sie nicht! Ich begleite sie nach Hause!"
"Ich weiß nicht wohin", sage ich und versuche mich zu beherrschen. "Ich bin nicht aus Bukarest. Ich weiß nicht wohin."
"Dann kommen sie mit mir, ich kenne ein besondern Ort. Kommen sie!"

Ich stehe auf und folge ihm.
Wir betreten das Theater. Wir quatschen ein bisschen mit dem Hausmeister, danach macht er mir ein Zeichen, ich sollte ihm folgen. Wir gehen nach oben in die Schauspielerkabine. Das Theater ist klein, die Schauspieler haben keine getrennte Kabinen. Es gibt einen einzigen großen Raum, wo sich alle für die Vorstellungen vorbereiten, erklärt er mir.
"Ich stelle dir eine Frage und du sagst Ja oder Nein."

Ich nicke mit dem Kopf als Zeichen, dass ich einverstanden bin. Ich sacke nach unten mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Wie durch dicken Nebel betrachte ich die mit Kostümen und Spiegeln gefüllte Kabine. Ich kann mich nicht konzentrieren. Mit meinen Augen scheint etwas nicht zu stimmen. Für eine Sekunde denke ich, ich bin blind.
"Bist du zwanzig?"
Ich verneine, bis er bei siebzehn ankommt.
"Du und Daniel, kennt ihr euch schon länger?"

Ich bejahe.
"Aus der Kindheit?"

Erneut ja.
"Trinkst du gerne Sekt?"

Ich nicke und er zaubert eine Flasche irgendwoher. Penibel macht er die Flasche auf. Als er den Stopfen entfernt, entsteht ein unerträglicher Krach.
"Wir haben hier keine Gläser. Es wird etwas kompliziert sein, Sekt aus der Flasche zu trinken, aber ich gehe deswegen nicht mehr nach unten.

Ich sehe die Poster an der Wand. Ich sehe in einer Ecke den weihnachtlich geschmückten Tannenbaum. Wir trinken ganz still. Auf einmal steht er auf und fängt an ein Kostüm nach dem anderen anzuziehen und Rollen zu interpretieren und ich lache dabei. Müde nimmt er seinen Hamlethut ab und sagt:
"Kommt wir gehen schlafen, ich glaube es ist 4 Uhr morgens."

Er macht aus den Kostümen ein Riesenhaufen und lädt mich ein, mich darauf zu legen. Er legt seinen Kopf auf meinem Schoss und fängt an, mir die Handflächen zu küssen. Dann schläft er ein.
Eine halbe Stunde später wird er wach und fragt, warum ich nicht schlafe. Ich soll Schäfchen zählen. Wir lachen. Ich schlafe ein.

Als wir wach werden, schneit es atemberaubend schön. Wir halten Händchen bis zur U-Bahn.
Sogar noch auf dem Bahnsteig, obwohl wir in entgegengesetzte Richtungen fahren müssen. Wir stehen genau in der Mitte mit gestreckten Armen so, dass sie sich berühren, ich mit dem Gesicht in die eine Richtung, er in die andere. Als der erste Zug kommt, sagt er:
"Komm, lass uns den Ersten nicht nehmen". Ich bin einverstanden.

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