02.04.2020
Ich habe mir das Youtube Video eines Poeten angeschaut und ich war bis heute völlig verliebt. In so einem anmutigen Zustand, in einer lebensveränderten Erfahrung. Hat bei mir das hervorgebracht was normalerweise tief in mir schlummert, meine gute Seite. Er hat mich dazu gebracht, dass ich mich besser in meiner Haut fühle. Ich habe bis heute Morgen meine Zeit schwebend in rosa Wolken verbracht. Zunächst habe ich gedacht, Oh mein Gott, wie unglaublich, wie beruhigend. Er kommt aus einer anderen Welt, einer die droht zu verschwinden. Eine Welt von der alle träumen, aber die ihm gehört. Wo nehmen manche Leute ihre Ruhe, Ausgeglichenheit und das Gefühl das sie noch Zeit hätten her? Ich mit meinem ständig anhaltenden Stress, weil alles schon gestern hätte erledigt sein müssen, ich dessen Leben eine einzige Krise darstellt, ich, die sich um jeden Preis ständig nach vorne drängelt, mit Ellbogen um sich schlagend, mit Füßen tretend, schubsend ohne nachzudenken. Mich zwingend so viel wie möglich zu machen, selbst-ausbeutend, mich selbst quälend um die geringe mir zu Verfügung stehende Zeit möglichst produktiv zu nutzen.

Ich dachte an meine eigene trockene Art zu sein, mit der Einstellung, dass alles meine Zeit verschwendet und dass jeder zur Seite treten muss und mich somit nicht bei der Arbeit stört. Wer nicht schnell handelt, verliert seinen Job! Wir die zum Teil und zum Teil hier großgeworden sind. Wir, die zerbröckelt und zerstreut sind, wir die sich ständig verändern, uns anpassen, um Luft ringen. Wir die unseren Beruf ständig wechseln und gezwungen sind sich anzupassen um dem Tod zu entkommen.

Und dann, völlig ablehnend, was ich von ihm gehört und mich zunächst verhext hat, sagte ich mir, ja, weg damit, das ist eine reine Marketing-Bewegung, wie in den Wettbewerben der Misswahlen, sie alle wollen Frieden in der Welt und verbreiten nur Liebe auf der Erde, was eine Sekunde Hoffnung für diejenigen schafft, die eigentlich die Realität kennen.

Ich schreibe, weil meine Leidenschaft die Malerei war. Das ist es, was ich liebte und das war ich am besten konnte. Es war meine Leidenschaft und ich hätte weitergemalt, wenn es nicht mein Vater gewesen wäre, der mir gesagt hat, dass ich etwas tun solle, das mir einen konkreten, stabilen Job mit solidem Einkommen bieten würde. Wir leben in der echten Welt, sagte mir mein Vater. Die reale Welt ist ungeheuerlich und hat keinen Platz für die wirtschaftlich Schwachen. Solange du was produzierst hast du einen Wert, wenn nicht gehst du unter. Mein Vater war kein Kommunist. Er glaubte weder an das Proletariat noch an die sozialistische Liebe und Brüderlichkeit.

Ich schreibe, weil ich das Fach Design gewählt habe, nachdem sich das Malen als nicht lukrativ erwies. Und damit meine ich Industriedesign, nicht Mode, lassen Sie uns das einmal klarstellen. Ich habe mich noch nie für solche Lumpen interessiert. Es war damals mein erster innerer Konflikt, aber ich tat, was mein Vater wollte. Und dann, als die Revolution kam, arbeitete ich als Grafikdesignerin für einen äußerst geringen Lohn. Es wurde uns gesagt, dass wir, die Studenten waren, für unser erlerntes Handwerk eigentlich doch zahlen müssten. Dies führte zu einen weiteren Jobwechsel.

Ich schreibe, weil ich von meinem ersten Gehalt als Grafikdesignerin konnte ich mir nur eine Tasche kaufen, die nicht mal aus Leder war und nur einen einzigen Kaffee. Das Geld reichte mir gerade so für einen Kaffee. Ich schreibe, weil ich dann immer wieder meinen Arbeitsplatz wechseln musste. Der einzige stabile Job war bei einem staatlichen Unternehmen, wo es keinen dementen Druck gab, wie bei privaten Unternehmen. Aber ich habe mich selbst verrückt gemacht, indem ich immer wieder Angebote von besser bezahlte Jobs annahm. Was nicht bedeuten soll, dass ich etwa reich war oder dass ich mit dem Gehalt viel anfangen konnte, in der Zwischenzeit half ich zu Hause mit der Hälfte meines Gehalts, weil mein Vater sehr krank wurde.

Ich schreibe, weil als ich fragte, wann das Projekt fertig sein sollte, war die Antwort: Gestern! Und wenn du dich selbstständig gemacht hättest, dann würdest du echten Stress erleben! Kunden, die einen nicht bezahlt haben, verschwanden buchstäblich mit deiner Arbeit! Headhunter Agenturen, denen du dein Portfolio gesendet hast und du es mit fehlenden Seiten zurückgekriegt hast. Firmen, die mit deinem Projekt viel Geld verdienen und dir nur eine kleine Entschädigung zahlen. Das hat mich dazu gebracht, als Hausfrau eine Familie gründen zu wollen um nie wieder von Werbung zu hören! Eine weitere Spaltung in meiner Identität.

Aber ich wollte nur eine Antithese entlarven. Der Dichter wird in seinem Interview gefragt, warum er schreibt, und antwortet, dass er aus Angst vor dem Tod zu schreiben begann. Ich schreibe aus Angst vor dem Leben. Er schreibt aus Liebe zu seiner Frau. Ich schreibe aus Hass. Der Dichter schreibt aus Liebe zu seiner Frau, er spricht ruhig und leise, er schreibt für die Ewigkeit und kommt aus einer Welt, die ich einmal gesehen habe; vielleicht war es einmal meine Welt, obwohl es zu lange her ist, um zu wissen, ob dies wahr sein konnte, eine Welt, in der ich immer noch hoffe, Fuß zu fassen. Es hatte eine hypnotische Wirkung auf mich. Für eine Weile. Dann wachte ich auf.

Weil ich gegen meinen täglichen Stress schreibe und gegen diese bedeutungslose Leere, die unter allem existierendem liegt und mich zu verschlucken droht, und weil ich weiß, dass diese Sekunden meines Lebens absolut irreversibel sind, und ich keine Ahnung habe, was ich mit ihnen machen soll. Wie man sie besser nutzt. Was würde man mit diesen vergangenen paaren Sekunden machen, die vergehen, ohne jemals wiederzukommen? Diese kostbaren Momente, die ich jetzt verliere, anstatt etwas Besseres zu tun. Zeitmanagement. Prioritäten Management. Wie wir unser Leben nicht verschwenden können? Aber ich fürchte, egal wie besorgt ich bin, das Beste aus den Möglichkeiten herauszuholen die ich habe, ich verschwende trotzdem meine Zeit und alle Möglichkeiten sind schon längst unmöglich.

Ich schreibe, weil ich es nicht anders machen kann. Wenn ich versuchen würde, das Schreiben in mir zu töten, und ich versuchte es, wäre es nicht möglich.

Ich schreibe, um einen Riss im wirklichen Leben zu schaffen. Das Böse zu organisieren. Es erträglich zu machen. Um zu vergeben und mich zu retten. Und aus Liebe zur Sprache, zur Kunstform und die unerwiderte Liebe zu heilen, die Ablehnung, die verlorenen Freundschaften, dieser Friedhof mit monströsen Erinnerungen, voller böser Untoten, die trotzig in dein Gesicht grinsen. Weil ich meinen Job wieder wechseln musste, als ich entdeckte, dass das Schreiben nur ein Hobby war und ich Sekretärin wurde. Regelmäßige Veränderungen auf 180 Grad in alle Richtungen, auf der Suche nach einer Überlebensmöglichkeit. Alle Spaltungen, die tiefe Wunden hinterlassen haben, Narben, die den Preis des Überlebens zeigen.

Ich schreibe aus Hass, als würde ich jemanden schlagen. Selbst die Buchstaben, die ich mit solcher Wucht auf meinen Laptop tippe. Mein Mann frägt mich manchmal: Mit wem streitest du (wieder) im Internet? (Er ist überzeugt, dass ich einen geheimen Feind habe, dem ich Hassbotschaften schreibe). Und ich antworte ihm erstaunt, nein, ich schreibe nur an meinem Roman! Ich schreibe nicht aus Liebe, ich schreibe, als würde ich jemanden erstechen wollen, als würde ich ein Zimmer verwüsten, als würde ich all die Hässlichkeit dieser ganzen Welt abstoßen, die mich drückt, eine Welt, in der wenn wir Überleben wollen, gegen jeden anderen kämpfen müssen. In der wir nur weiterleben können, wenn wir andere töten.

0 comentarii

Publicitate

Sus