Das Eichhörnchen wacht auf, weil ihr die Sonne die durch die zwei Vorhänge direkt aufs Gesicht scheint. Sie hätte gerne mehr geschlafen. Sie nimmt ein Bad, und betrachtet sich selbst im Spiegel. Sie glättet ihr Haar, welches wie eine gekräuselte Mähne aussieht. Dann geht sie in die Küche. Sie isst in Eile stehend vorm Fenster.
Sie zieht sich eine zerrissene Jeans an. Sie zieht sich ihr T-Shirt über ihren Kopf und ein Herrenhemd darüber an. Sie wickelte ihren Schal um den Hals. Sie ist spät dran.
Der Bus kommt schnell an. Sie lehnt sich zurück und schaut den ganzen Weg aus dem Fenster. Es ist Herbst.
Sie geht zum schäbigen alten Fakultätsgebäude. Es ist ein einstöckiges Gebäude mit einem geräumigen Innenhof, mit Bäumen, großen Keramikformen als Bänken und Fresken mit religiösen Szenen, an den Innenwänden, die größtenteils noch unvollendet sind. In den Pausen ist sie es gewohnt, auf einer der Keramikformen zu sitzen und die Heiligen ohne Arme, Aura oder Rumpf lange zu betrachten. Das Gerüst knarrt im Wind, verlassen von den Schülern aus den höheren Jahrgängen, verantwortlich für die Semi-Existenz der Fresken.
Einer ihrer Klassenkameraden nähert sich von der Seite, aber sie hält nicht an um auf ihn zu warten, im Gegenteil, sie beschleunigt ihr Tempo. Sie geht achtlos an anderen Kollegen vorbei und betritt das Gebäude.
Die Aula ist im Halbdunkel versunken. Sie geht zur Anzeigetafel. Nachdem sie sich durch das Chaos der Ankündigungen und anderer Klarstellungen gekämpft hat, entdeckt sie endlich das Thema für das erste Jahr. Ein einzelnes lakonisches Wort: "Selbstporträt".
Währenddessen holte ihr Kollege sie ein. Sie dreht sich zu ihm um.
"Was hältst du von diesem Unsinn?! Keine nützlichen Angaben! Welche Technik?! Welche Papiergröße?!"
"Wir sind zu spät angekommen", sagt ihr Kollege, "... es gab wahrscheinlich eine Diskussion. Der Professor hat wahrscheinlich alles um neun Uhr erklärt, was zu erklären war, wie er es normalerweise tut. Jetzt es ist halb elf! "
Er sieht sie aus dem Augenwinkel an.
"Lass uns lieber einen Kaffee trinken gehen!"
Sie lehnt ab. Er schlägt noch einmal vor: "Wie wäre es, den ganzen Tag in der Stadt rumzuhängen und dann in eine Disco zu gehen?"
"Aber wir haben am Nachmittag Kunstgeschichte!", widerstrebt sich das Eichhörnchen.
"Verflucht, was ist schon dabei?!"
Nach einigen Momenten der Verlegenheit sagt sie:
"Dann geht es um dieses Thema. Selbstporträt! Was zum Teufel bedeutet das? Welches Selbstporträt?! Das Jahr hat gerade erst begonnen und wir bekommen jetzt schon dumme Themen!"
Aber er besteht darauf:
"Glaubst du kommst auf gute Ideen, wenn du dich im Haus einschließt? Dies ist auch eine Möglichkeit, sich selbst zu dokumentieren. Denk daran, dass du nicht unbedingt wie ein Nerd in die Bibliothek gehen musst. Du kannst auch mit mir kommen und dich von dem echten Leben inspirieren lassen. Wir trinken etwas, wir fühlen uns gut. Selbstporträt? Auf diese Weise kannst du so viel wie möglich über dich selbst herausfinden. Jedenfalls mehr als in einer Bibliothek."
"Lass es sein", sagt sie nervös. "Ich habe keine Lust mit zu kommen."
Aber er scheint entschlossen zu sein, die Sache noch schlimmer machen zu wollen:
"Dann ist es ein Thema wie jedes andere. Auf den letzten Drücker wirst du etwas improvisieren und diese Idioten werden dir zufällig eine Note geben. Jeder wird zufrieden sein. Es macht keinen Sinn, zu hart zu kämpfen weil dich eh niemand anerkennen wird."
Aber das Eichhörnchen betritt das Atelier.
Sie fängt an die Ecken eines Blattes auf ein sich auf ein Gestell befindendes Holzbrett zu mit Pinnadeln zu befestigen. Sie steht davor. Immer wenn sie davor steht verspürt sie Freude, ist aber auch leicht eingeschüchtert. Es gibt nur sie und das Blatt Papier. Sie stehen sich gegenüber. Jeder wartet darauf, dass der andere endlich etwas sagt. Alle warten darauf, berührt zu werden.
Das Atelier ist leer. Alle sind in die Bibliothek gegangen. Sie braucht ein Konzept. Wissen Professoren nicht, dass Schüler im ersten Jahr noch kein Konzept über das eigene selbst haben? Dass sie noch Kinder sind?
Nach einer Weile stopfte sie alles zurück in ihre Tasche. Sie schnappt sich das Blatt vom Brett und stopft es in den Müll. Sie zieht ihren Mantel an. Erst beim dritten Versuch gelingt es ihr, den linken Ärmel zu treffen. Sie zittert.
Auf dem Flur kollidiert sie mit ihrem Kollegen, welcher sich nicht rührt und auf sie wartet. Aber sie läuft weiter. Sie bemerkt dass er sie auf einmal verfolgt. Sie vertreibt ihn nicht. Sie braucht überraschenderweise Gesellschaft. Sie möchte ihn mit beiden Händen ergreifen und ihn wütend schütteln. "Worauf warten die noch? Sag mir, was ich tun soll! Sag mir, was ich mit mir tun soll! Sag mir, wohin ich gehen soll!".
Stattdessen schweigt sie und geht geradeaus weiter. Ziellos.
Sie kaufen zusammen eine Flasche Wodka. Sie lassen sich in dem kleinen Park nahe der Kreuzung des Dacia Boulevard mit Calea Victoriei nieder. Sie finden einen Ort. Einen Ort wo die Blicke anderer sie nicht belästigen. Sie setzen sich auf die Treppe eines einstöckigen Hauses, direkt am anderen Ende des Parks. Vor dem Wind geschützt. Sie reichen sich abwechselnd die Flasche.
Er sieht sie durch seine Wimpern an und plötzlich kommt ihm eine Idee. Er greift in seine Hosentaschen danach durchsucht er seine Stofftasche, und als er alles findet, was er braucht, kneift er die Augen zusammen und beginnt mit stumpfer Kohle auf Papier zu skizzieren.
"Beweg dich nicht!", Befiehlt er.
Sie bleibt in dieser Position, ohne es zu wagen, zu schwer zu atmen. Nach einer Weile hört sie: "Es ist noch nicht fertig, aber du kannst einen Blick darauf werfen..."
Aber sie dreht sich nicht um, als ob sie möchte, dass er weiter zeichnet.
"Was, bist du betrunken?", Fragt ihr Kollege und wischt ihre Tränen mit einer schmutzigen Hand weg.
Sie steht auf. Sie schnappt sich ihre Tasche und rennt weg.
"Warte!", Rief er ihr nach. "Warte, was machst du, ich bin noch nicht fertig!"
Das Eichhörnchen läuft die Calea Victoriei Straße entlang. Die Eifersucht, die sie empfindet, ist grenzenlos. Sein Gesicht, verändert, als er sich über das Blatt Papier beugte, verfolgte sie. Der Ausdruck in seinem Gesicht. Dieses subtile Fieber, das sie selbst nie empfunden hatte. Sie konnte es nie richtig fühlen. Der Neid macht sie fertig, alles tut weh, innen und außen. Und die Zeichnung - die Zeichnung! Es war besser als jede Zeichnung von ihr. Sie musste nicht schauen, um das zu wissen.
Sie läuft weiter und schaut nicht mehr zurück.
Es ist wichtig, sich zu beeilen. Jetzt weiß sie, was sie zu tun hat.
Der Ort, ihre eigenen Wohnung, erscheint ihr fremd. In einer Ecke aufbewahrte Papierrollen, in einem Ordner aufbewahrten Zeichnungen, die Staffelei neben der Wand, die hölzerne Box mit den Ölfarben und das Bürstentuch ordentlich oben gefaltet.
Und plötzlich ist jemand anderes auch da. Vor das fürchtet sie sich am meisten. Die Stille, in der jeder darauf wartet, dass der andere endlich etwas sagt. In dem jeder darauf wartet, berührt zu werden.
"Ich mag dich wirklich!", gibt sie endlich zu.
Sie schnappt sich ein Kissen aus dem Bett und wirft es auf den Stuhl vor ihr.
"Du magst mich?!"
"Ja."
Das Mädchen, welches auf dem Stuhl sitzt, lächelt sie an, obwohl sie mit etwas anderem beschäftigt zu sein scheint.
"Reg dich nicht auf, aber manchmal frage ich mich..."
"Sag es ruhig, ich werde nicht verärgert sein!"
Nach einem kurzen Zögern schafft sie es die sich in ihrem Kopf befindende Frage auszuformulieren:
"Was hast du aus mir gemacht?"
"Wie?!"
"Ja, ich meine... Sind das wirklich meine Hände? Schau sie dir an! Was macht ihr an dieser Kunsthochschule? Wühlt ihr im Müll?"
Das Eichhörnchen schaut überrascht auf ihre Hände.
Auf ihrem Gesicht bilden sich ein paar Schatten. Ihr sanftes Profil lässt sich leicht verdrehen. Sie findet sich selber in der anderen Person wieder, analysiert die entspannte Position des Körpers, mit überschlagenen Füßen, mit den Händen auf dem Schoß, die Finger die mit einem Ring spielen. "Ich sehe nicht schlecht aus", sagt sie zu sich. "Schade, dass ich mich so anziehe."
"Ich mag dich wirklich!", wiederholt sie, aber diesmal mit scharfem und verzerrtem Schmerz in der Stimme.
Sie springt entschlossen von der Bettkante und nähert sich ihr. Sie packt fest ihre Haare. Sie zwingt sie, sich neben dem Stuhl hin zu knien. Sie stößt auf keinen Widerstand. Sie freut sich auf diese höfliche Bereitschaft der Zusammenarbeit. Das Eichhörnchen legt ihren Kopf auf die Stuhlkante. Langsam, als sie ihre Hand hinter ihrem Rücken hervorholt, glänzen die Zähnen der Säge. Sie beginnt angespannt zu schneiden. Dann lässt sie los und der Kopf rollt nach einem gedämpften Knall auf dem Boden.
Sie kommt vor allen Leuten in dem Atelier an. Der Boden knarrt. Die weißen Neonlichter blinken der Reihe nach und leuchten in einer nicht übereinstimmenden Reihenfolge auf. Das Atelier wurde gereinigt und für die Ausstellung vorbereitet. Das Feuer brennt im Ofen.
Die Staffeleien sind weg, die Holzbretter, die Materialschränke, alles weg. Stattdessen befindet sich in der Mitte des Raums ein hoher Marmorsockel, auf dem eine geräumige Kristallbox steht. Die Box wird von einigen Scheinwerfern beleuchtet, die sorgfältig an der Decke angebracht sind.
"Sie haben auf mich gewartet!", sagt sie aufgeregt zu sich. "Die ganze Zeit haben sie auf mich gewartet! Die ganze Zeit haben sie es gewusst!"
Sie nähert sich der Glaskiste und öffnet die Tür, die den Zugang ins Innere ermöglicht. Sie öffnet es und berührt das Samtkissen mit den Fingerspitzen. Die Empfindung ist außergewöhnlich, zart und sinnlich zugleich.
Sie schnappt sich das Klebeband, mit dem die mitgebrachte Schachtel versiegelt ist, und holt ihren Kopf heraus. Sie legt ihn sorgfältig in die Kristallbox hinein. Die sorgfältige Anordnung erfordert viel Zeit. Blutstropfen bleiben auf dem roten Samt unbemerkt.
Sie steht stundenlang da und schaut auf die Kristallbox.
Wenn sie Schritte und Stimmen im Flur hört, erschreckt sie sich.
Das Gremium!
Die Prozession tritt langsam und leise ein. Unter ihnen ist ihr Kollege. Ein Vertreter der Studenten muss immer ein Teil des Gremiums sein. Der Leiter der Kommission macht zwei Schritte nach vorne, die Hände hinter dem Rücken und das Kinn stark angehoben. Er frägt anschließend:
"Mal sehen... Ist das Ihre Arbeit, Fräulein? Was haben Sie dazu zu sagen?"
"Äh..."
"Komm schon, Mädchen, sag was hast du zu sagen hast...! Ich habe für so einen Mist keine Zeit!"
Währenddessen schaut er seine Uhr an. Als der Professor sieht, dass das Mädchen mit ihrem runden, erstaunten Gesicht nicht antwortet, kneift er die Augen zusammen und ist bereit, das Urteil zu fällen.
"Na ja... im Großen und Ganzen ist es gut gelungen..."
Er blinzelt noch härter. Etwas macht ihm Sorgen.
"Jedoch bin ich mit diesem kleinen Detail nicht zufrieden!"
Und er zeigt auf den kleinen blauen Fleck auf der Stirn, der im Moment des Aufpralls auf den Boden bei ihr zu Hause entstand.
Das Eichhörnchen sieht ihn müde an. Sie spürt, wie ihr Kopf schmerzt.