Übersetzung: Vera DreichlingerZur Zeit meiner Kindheit gab es über Weihnachten keine freien Tage, Weihnachtstage galten nicht als Feiertage. Offiziell existierte Weihnachten nicht. Auch der Weihnachtsmann existierte nicht. An seiner statt kam ein anderer alter Mann: "Großväterchen Frost", der die Neujahrsgeschenke brachte. Ein von den Kommunisten erfundener alter Mann. In Rumänien also, hatten die Menschen über Weihnachten nicht frei. Dennoch arbeitete über Weihnachten kaum jemand. Man brachte von Zuhause das traditionelle Essen eben so mit zur Arbeitsstelle, wie auch den Wein; man veranstaltete kleine, inoffizielle Feiern, bei welchem auch die "Chefs" ein Gläschen Wein mittranken. Ebenfalls inoffiziell.
Am Heiligabend, ließen die Firmen-Häuptlinge, die sich volksnah zeigen wollten, die Frauen schon früh von der Arbeit nach Hause gehen, um Zeit zu haben für die Zubereitung des traditionellen Festessens. Aber man fand kaum Lebensmittel, besonders in den Städten nicht. Viele Menschen konnten nur deshalb Weihnachten schöner feiern, weil sie Verwandtschaft auf irgendwelchem Dorf hatten, wo man ein Schwein oder einen Truthahn für sie großgezogen hat. Dort konnte man auch Wein aus echten Trauben machen, man musste nicht den Ersatz vom staatlichen Laden trinken. Viele Rumänen machten Zuhause Wein: auf den kleinen Balkonen zerstampfte man die Trauben in Plastiksäcken, ließ sie in großen Einmachgläsern gären und füllte die kaum zu Wein gewordene Flüssigkeit in große, bäuchige, Korbflaschen. Zu Weihnachten und Neujahr wurden diese Korbflaschen geöffnet und jeder, egal ob Arzt, Ingenieur, Professor, oder Rechtsanwalt, rühmte den jeweils "selbst gemachten, eigenen Hauswein".
Wir Kinder hatten jedoch Ferien. Diese begannen immer am 22-ten Dezember und so ist es bis heute noch geblieben. Für die Studenten gab es keine Ferien. Aber zu Weihnachten neunzehn hundert acht und sechzig fand eine studentische Minirevolution statt, welche den Behörden gewaltig einheizte. Studentengruppen demonstrierten auf Bukarests Boulevards, sie trugen selbst gemalte Ikone wie Plakate mit und skandierten ungewohnte Parolen: "Die Tradition ist auferstanden!", und sie verlangten freie Weihnachtstage. Diesmal trafen die Behörden eine sonst selten gescheite Entscheidung: sie ließen die Studenten in Frieden und gewährten ihnen Ferien. Seit dem fuhren am zwei und zwanzigsten Dezember mit Studenten überfüllte Züge von den großen Universitätsstädten in Richtung heimatliche Dörfer und Kleinstädte, wo ihre Familien lebten.
Zu Weihnachten sendete man im Radio und im Fernsehen keine Weihnachtslieder. Dennoch: auf den Straßen der Städte liefen Kindergruppen von Haus zu Haus und sangen eben diese ersehnten Lieder. Wie die "Sternsänger" in Deutschland, aber im orthodoxen Brauch zu Weihnachten gehörend und nicht zum Dreikönigstag. Sie waren traditionsgemäß als Hirten verkleidet, manche nur mit farbigem Papier über der Kleidung, sie trugen mit Bändern und Bändchen verzierte Hirtenstäbe und hölzerne, bemalte Sterne; sie klingelten an den Wohnungstüren, auf den Dörfern betraten sie die Höfe durch die immer offenen Tore. Die Kindergruppen liefen singend über den knirschenden Schnee:
Sterne am Himmel, Glockengebimmel. Jungfrau MariaDie Reine,Hört Leute,Bescherte uns Christ, den Erlöser!
Die Erwachsenen erwarteten schon die singenden Kinder und bescherten sie mit Brezeln, Äpfeln und Kuchen, häufiger jedoch mit Geld. Oft taten sich Studenten zu kleinen Chören zusammen und zogen ebenfalls singend von Haus zu Haus; sie verdienten für die damaligen Verhältnisse viel Geld, denn sie boten den Menschen etwas, was man nur noch selten hören konnte: traditionelle Weihnachtslieder.An den Abenden vor Weihnachten sah man auf den Straßen der Städte und in den Gässchen der Dörfer nur alte Leute und Kinder die in die Kirchen zum Gottesdienst eilten. Erwachsene, arbeitende Menschen gingen nicht zur Kirche, sie hatten Angst, gesehen und auf dem Arbeitsplatz dafür bestraft zu werden: die Entlassung drohte. Nur die Alten und die Kinder, die nichts zu verlieren hatten, beteten in den Kirchen.
Auf diese Weise gab es in meiner Kindheit Weihnachten und es gab sie doch nicht, man beging die Feiertage und doch nicht; Weihnachten und Ostern existierten und existierten doch nicht. Es hing von der eigenen Sichtweise ab. Einige Menschen fürchteten sich so sehr, dass sie die Essensreste der Feiertage nicht einfach in den Müll warfen, sondern erst mal in gut verschnürte Plastiktüten verpackten und diese nicht im eigenen Hausmüll, sondern irgendwo weit weg, wenn möglich in die Müllbehälter der Straßenbahnstationen entsorgten. Besonders die gefärbten Eierschalen der Ostertage waren als verräterisch gefürchtet.Gewöhnlicher Weise waren die Menschen nicht so sehr verängstigt. Die Behörden machten auch nicht immer Großereignisse aus den kirchlichen und gefeierten Festen. Sie taten nur so, als ob es die Feier der Geburt nicht gäbe. Am Heiligabend kamen die Weihnachtslieder singenden Sternsänger, oder aber erklangen die traditionellen Lieder, hinter verschlossenen Fenstern und Türen, von irgendwelchen West-Europäischen Radiosendern.
Als ich noch Kind war lernte ich "Oh, Tannenbaum" singen, eine Tante oder mein Vater begleiteten das Lied auf dem Klavier; danach veranstalteten die Erwachsenen ein immer lustiges Fest für uns Kinder. Wir sangen im Chor und in einem annähernden Deutsch "Oh, Tannenbaum". Aber wir wussten, dass wir dieses Lied nur Zuhause und niemals in der Schule singen durften. Wir verhielten uns danach.Für jemanden, der nicht in Ost-Europa gelebt hatte, ist es unverständlich, welch eine große Bedeutung Weihnachten für uns hatte. Insbesondere deshalb, weil es eine wunderschöne, aber nicht eben verbotene, jedoch inoffizielle Feier war. Für uns Kinder war es umso anziehender, desto mysteriöser es war. Und das war es eben. Alles damit Verbundene hieß Zuhause anders, als es in der Öffentlichkeit genannt wurde. Den weihnachtlichen Tannenbaum fand man zwar schwer, aber man konnte ihn besorgen, und der Baum hieß nicht Weihnachts- sondern "Winterbaum". In den staatlichen (und ziemlich leeren) Kaufhäusern erschien ab und zu ein mit rotem Mantel bekleideter und weißen Wattebart tragender "Figurant", aber der wurde "Großväterchen Frost" genannt. Während den Zeichenstunden in der Schule, malten wir Glückwunschkarten für das Neue Jahr, aber diese durften keine Kerzen zeigen, noch weniger durften die Heilige Jungfrau Maria, das Jesuskind und der Stall von Bethlehem darauf erscheinen.
Zur Zeit meiner Kindheit und noch mehr während meiner Jugend, in den letzten Jahren der kommunistischen Herrschaft in Rumänien, fand man kaum etwas Essbares, und wenn doch, dann nur von schlechter Qualität. Nach althergebrachtem Brauch hätten wir vor Weihnachten und vor Ostern jeweils sechs Wochen fasten müssen. Fasten ganz ohne Fleisch, aber auch ohne Eier, Milch und Milchprodukten. So schreibt es die orthodoxe Tradition vor. Aber falls man, beim damaligen Mangel an Allem, etwas Fleisch auftreiben konnte, dann vergaß man die alten Bräuche und aß das irgendwie zubereitete Fleisch.
Die Menschen begannen schon zeitlich mit der Besorgung von Vorräten, denn bei den Rumänen benötigt man für das Essen am Heiligabend, das Mittagessen am ersten, zweiten und dritten Weihnachtstag ganz besondere Zubereitungen. Zu Ignaz wird das Schwein geschlachtet, natürlich nur wenn man Verwandtschaft oder Freunde in einem Dorf hat, die für die Städter je ein Schwein gemästet haben. Ansonsten muss man sich irgendwo und irgendwie Schweinefleisch besorgen, denn zu Weihnachten ist es Pflicht, hausgemachte Wurstsorten zu essen: Leberwurst, Schwartenmagen, geräucherte Mettwurst. Auch heute noch, trotz der schon gutgefüllten Supermärkte, bereiten die rumänischen Frauen selbst, im eigenen Zuhause, diese Wurstsorten zu, ihre Männer drehen eigenhändig die Kurbel der Wurstfüllmaschine. Die Männer sind stolz auf ihre geschickten Frauen, diese wiederum loben die liebevolle Hilfeleistung ihrer Männer.
Das Schweineschlachten ist ein Fest, das in den Dörfern heute noch ganz besonders begangen wird und es ist einem heidnischen Opferfest nicht unähnlich. Das einjährige Familienschwein, so um die einhundert zwanzig bis einhundert fünfzig Kilo schwer, wird aus dem Stall gezerrt und auf den Boden in den Schnee gestoßen. Einer der heldenhafteren Männer sticht ihn, so ihm dies gelingt, mit einem Messer ab; danach werden die Borsten über Strohfeuer vom Körper abgesengt und sofort ein Teil des Fleisches gebraten. Dieser Braten wird an die Familie und an herbeigeeilte Freunde und Nachbarn, als Almosen der Wohltat, verteilt. Diese wiederum müssen den starken, meist selbst gebrannten Schnaps zum Schlachtfest beitragen. Man trinkt auf das Wohl der zum Himmel gefahrenen Schweineseele, als Dank dafür, dass sein Fleisch die ganze Familie sättigen wird.
Irgendwann, irgendwo in einem Dorf hat ein Mann Mitleid gehabt, wollte das Schwein nicht abstechen, sondern diesen lieber mit Haushaltsgas aus einer Gasflasche ersticken. Aber dann passierte es: als er die Borsten über dem schon leicht lodernden Strohfeuer absengen wollte, explodierte das im Schweinekörper angesammelte Gas wie eine Bombe! Das Fleisch flog ihm wie Fetzenstücke um die Ohren. Aber: diese Fleischfetzen wurden fein säuberlich zusammen gesammelt und wie gehabt, zubereitet und gegessen. Trotz der Tatsache, dass im kommunistischen Fernsehen und auch im Radio solche Nachrichten nicht gesendet wurden, verbreitete sich die Mär dieses Ereignisses über ganz Rumänien, das ganze Land konnte lachen.
Beim Weihnachtsessen folgen nach den Wurstsorten mit kaltem, oder heißem Schnaps, die Sauerkrautwickeln: die Sarmale. (Die bestehen aus Sauerkrautblättern in welche man gewürztes Schweinehackfleisch wickelt. Für dieses Gericht werden sowohl ganze Weißkohlköpfe, wie auch fein geschnittene Weißkohlstreifen in Salzlake gesäuert). Zu den Sarmale gehört pflichtgemäß die "Mamaliga", in Italien als "Polenta" bekannt. Erst danach folgen Schweine- und Truthahnbraten. Als Zeichen der Freude zur Geburt Christi, trinkt man dazu Rotwein. Jahr für Jahr isst man in Rumänien zu Weihnachten diese Gerichte und nur in dieser Reihenfolge. Seit vierzig Jahren kenne ich nur diesen Weihnachtsschmaus, genieße dieses Essen, das mir niemals lästig geworden ist und es bis zum Lebensende auch nicht langweilig erscheinen wird. Wo auch Rumänen über die Welt verstreut leben, sie tafeln zu Weihnachten immer in derselben Weise, wie eben beschrieben. Der dazu gehörende, rote Hauswein ist säuerlich, oder tanninhaltig und dann fast schon schwarz, heißt "Saiber" oder "Holzfasswein"; falls der Wein ein wenig süßlicher ist, dann nennt man diesen "Erdbeerigen". Nur solch ein Wein passt zum fetten Schweinefleisch. Den Schnaps brennt man aus Zwetschgen oder Marillen; man kocht es mit einer Prise Zucker und klein wenig Pfeffer auf und trinkt es heiß. Der erste Mann der dabei zu Husten beginnt ist ein Schwächling, man nennt ihn "Verlierer" und er muss zahlen. Als Kinder noch, versuchten wir uns auch mit ein bisschen heißem Schnaps ohne Husten. Ob uns damals so etwas gelang? Ich weiß es nicht mehr.
Zu meinen Erinnerungen aus der Kindheit gehört auch das Kuchenbacken, damals die schwerste vorweihnachtliche Aufgabe. Ein Mensch aus dem Westen Europas kann darüber nur schmallippig lächeln, ja, sogar ein Kind, das in Rumänien, aber erst nach neunzehn hundert neun und achtzig das Licht der Welt erblickte, kann es nicht verstehen, was in meiner Kindheit Kuchen bedeutete. Eier konnte man nur schwierig besorgen, Mehl noch schwieriger und es war fast schwarz. Zucker bekam man nur auf Markenzuteilung und die Hefe, wenn man es überhaupt ergattern konnte, dann war es von minderwertiger Qualität und das süße Milchbrot blieb eine unförmige, flache Masse. Der Teig konnte nicht gehen. Mutter und Großmutter buken schon zwei - drei Monate vor Weihnachten kein Süßgebäck mehr für uns Kinder. Der ganze Zucker auf Markenzuteilung durfte nicht angetastet werden, es wurde für das weihnachtliche Süßbrot gesammelt. Vor mehreren Jahren, ich arbeitete mit vier - fünf Kollegen als Ingenieur in einem Amt für verschiedene Erfassungen, schenkte uns, der mit uns sehr zufriedene Chef, im Geheimen, je ein Päckchen Hefe von allerbester Qualität. Ich war sehr glücklich und brachte es meiner Mutter. Es wurde ein herrliches Süßbrot damit gebacken!
Vor Weihnachten herrschte Zuhause eine angespannte Atmosphäre, wie vor einer schweren Prüfung. Mutter, Großmutter und alle Tanten versammelten sich zur Beratung, wie mehrere Ammen vor einer schweren Geburt. Auf dem Schwarzmarkt erstanden sie zwei - drei Kilo westdeutsches Weißmehl. Irgendeine der Frauen verzauberte den Verantwortlichen eines Lebensmittelladens nur für Parteioberen und kam mit einer Tüte weißem, echtem Zucker nach Hause. Selbst wenn der Teig gelang, konnte man noch immer nicht wissen, ob aus der Gasleitung genügend Gas zum Backen strömte. Deshalb wurde schon am frühen Morgen, um vier - fünf Uhr gebacken, denn um diese Zeit kam noch genügen Gas aus der Leitung. Wir erlebten damals Tage und Nächte voller Spannungen. Aber wie auch immer, am Morgen vor Heiligabend duftete es in der Wohnung nach frischem Süßbrot. Mutter und Großmutter buken mehrere solcher Kuchenbrote, denn sie beschenkten damit Verwandte, denen es nicht gelang die nötigen "Bestandteile" für diese Leckerei zu besorgen.
Der Weihnachtsbaum wird bei uns vor Heiligabend geschmückt und ziert bis nach Neujahr die Wohnung. Zur Zeit meiner Kindheit war es unsere, der Kinder Aufgabe, den Baum zu schmücken, und wir taten das unter dem Kommando des Großvaters. Wir Kinder verzögerten diese Arbeit, weil uns das Schmücken viel Spaß und Freude bereitete; im krassen Gegensatz zu anderen, von uns weniger geliebten Arbeiten. Ich lebte und lebe heute noch in einem Haus mit hohen Zimmern, wo die Tanne groß sein kann. Den Christbaumschmuck verwahrten wir über viele Jahre, denn man konnte so etwas nirgendwo erstehen. Es durfte kein Weihnachten geben und folgerichtig gab es auch keinen Christbaumschmuck. In einem Jahr jedoch sprang unsere Katze in den geschmückten Baum, der fiel um und jede Menge Glaskugeln zerbarsten. Leider! Ersatz konnte nicht mehr besorgt werden.
Die Einleitung dieser Geschichte ist mir zu lang geraten. Aber ich schwelge gerne in Erinnerungen an viele Weihnachten meiner Kindheit. In Rumänien durften im Winter keine privaten Autos verkehren. Die Behörden verboten es Winter für Winter mit der Begründung der Verkehrsgefährdung durch Schnee. Die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung war miserabel. Das Fest war ebenfalls und irgendwie verboten. Alles, was zur Feier gehörte, war unendlich schwer zu bekommen, die vorweihnachtlich herrschende Anspannung in der Familie, die Geheimnistuerei drum - herum, alles zusammen verlieh unserer Weihnachtsfeier einen ganz besonderen Charme.
Heute, wenn ich mit dem Auto nur zum Supermarkt fahren muss und dort meinen Einkaufskorb füllen kann ist Weihnachten weniger interessant. Oder aber: ist Weihnachten jetzt für mich nur deshalb weniger schön, weil meine Kindheit vorbei ist? Damals machte uns jedes kleinste Geschenk, das einfachste Spielzeug unter dem Christbaum so glücklich, wie wir es nie mehr sein können......Der Kommunismus hatte eine verdunkelnde Verbrämung für die weihnachtlichen Bescherungen erfunden: der ganze Monat Dezember wurde von den mager ausgestatteten Geschäften zum "Monat der Geschenke" ausgerufen. Der Weihnachtsmann kam nicht mehr mit seinem, von Rentieren gezogenen Schlitten und brachte so die Bescherung, nein, es kam ein ganzer und seelenloser "Monat der Geschenke!"
Und eines kalten Wintertages, ich war schon Student, kam der "Monat der Geschenke" nicht mehr. Auch "Großväterchen Frost", der mehr oder weniger den guten, alten Weihnachtsmann ersetzen sollte, der durfte auch nicht mehr erscheinen. Die Propaganda hat eine grausamere Formel denn je erfunden. Ein Zeichen der Verzweiflung erfasste in den letzten Jahren der Dunkelheit das Regime. Den Kleinkindern in den Kindergärten und Tagesstätten, wie auch den Schulkindern verkündeten die Erzieherinnen, die Lehrer und Lehrerinnen, dass der Weihnachtsmann tot ist. Tot! Nicht alle Erzieherinnen hatten den Mut, eine so unheimliche, so düstere Tatsache zu verkünden. Einige jedoch taten es aus Angst, oder aus Dummheit. Auch nicht alle Eltern hatten genügend Courage, diese, von den Kindern offiziell vernommene Verkündigung, Zuhause zu verneinen. Einige sagten:"Wenn die Genossin Lehrerin das gesagt hat, dann stimmt es auch."Eine immense Verzweiflung erfasste die kleinen Kinder eines kleinen, in Dunkelheit und in seelischer Kälte eingesperrten Landes.
Ich war nicht mehr in dem Alter, in welchem man noch an den Weihnachtsmann glaubt. Aber diese idiotische Propaganda schmerzte mich trotzdem genau so, als gehörte ich noch zu dieser Altersklasse und irgendjemand hätte mir gegenüber diese Behauptung gemacht. Einige Jahre lang verschwand der sanftmütige, alte Mann von der Bildfläche Rumäniens. Weihnachten war Verdunkelung war angesagt; Weihnachten verarmte immer mehr. Eines Sonntagabends klingelte bei mir das Telefon und ich hörte die Stimme eines Freundes:"Selbst wenn Du die Stimme erkennst, nenne keinen Namen. Ich möchte Dir nur sagen, dass man in Temeswar ins Volk schießt."
Damit hat der Aufstand begonnen. Ich wusste, dass es kommen würde, aber ich wusste nicht, wie es werden würde. Zwei Tage später wurden die Studenten früher als sonst in die Ferien geschickt. Am zwanzigsten Dezember wusste das ganze Volk, was in Temeswar geschehen war. Und am ein und zwanzigsten Dezember, als das ganze Volk am Fernsehen zusehen konnte, wie der Diktator zum überhaupt ersten Male in seiner Rede unterbrochen wurde, da riefen wir alle:"Es hat begonnen!"
Sicherlich, es war ein Staatsstreich, aber wir, die wir auf die Straßen gegangen waren, haben davon nichts gewusst. Am Heiligabend neunzehnhundert neun und achtzig haben wir die erste freie Studentenzeitung der Bukarester Studenten herausgebracht. Allerdings: danach sind wir zu Fuß nach Hause gelaufen. Auf den Straßen hörte man die ersten Trommelfeuer der Maschinengewehre. Es hieß: die "Terroristen haben geschossen". Welche Terroristen? Die man anschließend niemals entdeckt, niemals gefunden hat. Wahrscheinlich sollte das, was man hören konnte, nur als Geräuschkulisse irgendwelcher "Geräuschmaschinen" aufgefasst werden. Es durfte nichts anderes sein! Aber auch dies konnten wir damals nicht wissen. Zuhause stand der geschmückte Weihnachtsbaum, alles schien ruhig zu sein. Wir tranken Wein und aßen Süßbrot. Wie immer. Am nächsten Tag wurden der Diktator und seine Frau erschossen. Hingerichtet, wie tollwütige Hunde. Von auswärts gesehen, erschien das ganze Szenario als bestialisch. Aber die Mörder des Weihnachtsmannes hatten nichts anderes verdient.
Nach noch einem Tag hörte man inmitten der Hauptstadt Bukarest noch immer Trommelfeuer von Maschinengewehren. Aber die Menschen beachteten es gar nicht mehr. Sie standen in der Schlange um Apfelsinen zu kaufen. Für Rumänen eine seltene Ware. Am dritten Tag gab es weniger Gewehrkugeln, aber mehr Apfelsinen. Der Weihnachtsmann war wieder auferstanden.In jedem Jahr, wenn ich Weihnachtslieder höre und eine Apfelsine schäle, erinnere ich mich daran, dass ich Zeuge des Todes und der Wiederauferstehung des Weihnachtsmannes war.